RAKI (März 2001)

Episode 1

So, Herzlich Willkommen im Blauen vom Himmel! Ich habe beschlossen, meine rockstarbedingte Medienmacht zur Verbreitung selbsterfundener Wahrheiten zu nutzen. Wenn man die Einträge unseres GirlieChats als vermeintlich repräsentatives Anzeichen dafür nimmt, wer die Leserschaft unserer Homepage so ist, bedeutet Medienmacht, dass ich mit meiner Kolumne genaugenommen einen Haufen pubertätsbedingter Groupies, viele geltungsgeile männliche Teenager (mit eigener Combo, gerade online gegangen), sowie mehrere hasserfüllte Anarchieepigonen erreichen kann. Ach, es fließt soviel Herzblut in diesen Kommentaren, und doch… . Ja, es stimmt mich wirklich traurig, was für einen Bockmist man in diesem Gästebuch häufig lesen muss, geradezu entwürdigend. Vor allem, wenn ich bedenke, dass 80% der Einträge von uns selber stammen.
Trotzdestonichts möchte ich hier zum Einstieg einmal eine solche Äußerung aufgreifen, auch wenn ich nicht direkt auf den Inhalt eingehen will. Eintrag Nummer 1091 spricht von den ‚kommerzgeilen Wohlstandskindern' und schließt sich damit einer langen Reihe von Kommentaren, Diskussionen und Vorwürfen zu dem Thema Kommerzialisierung unserer oder irgendwelcher Bands an. Mich freut dergleichen, dieses sensible Wittern nach etwaigen Wirtschaftlichkeitstendenzen erinnert so stark an die kollektive Panik vor der BSE-Seuche, die einem allenthalben an die Gurgel springt, wenn man sich dem Fernsehen oder aktuellen Druckerzeugnissen aussetzt. Keine Stunde vergeht ohne neue Schreckensvermutungen über allzu glückliche Rinder, und die Bevölkerung durchleidet eine Endzeitstimmung, wie sie zuletzt nur Tschernobyl auszulösen vermochte. Stellt man jedoch die Gefahren und möglichen Folgen dieser Krankheit für den Menschen neben jene, die von anderen, ebenso wertgeschätzten Verbrauchsgütern wie Fleisch ausgehen, etwa von Alkohol oder Kippen, deren Konsequenzen bloß schon etwas länger die Runde machen, drängt sich mir der Vergleich zum Elefant auf, der sich vor der Maus fürchtet (statt vorm Großwildjäger).



Ich habe diese Überlegung zum Anlass genommen, meiner Lieblingszeitverschwendung nachzugehen und im Internet zu surfen, um zu dieser Fragestellung einmal knallharte Fakten auf den Tresen zu schmettern. Ob die dabei gefundenen Quellen verlässlich sind, ist mir völlig egal. Den modernen Medien sollte man sowieso keinen Glauben schenken. Alles, was es dort zu erfahren gibt, ist nur zum Zwecke der Unterhaltung geschaffen worden, und nicht um auf irgendjemandes Lebenspraxis bezogene Informationen zu vermitteln. Informationen sind in dieser Informationsgesellschaft dem Zwang zur Zerstreuung zum Opfer gefallen. Es kommt also nicht darauf an, ob wahr oder falsch, worüber man lacht. Gleiches gilt für diesen Schrieb.

Also: Die Wahrscheinlichkeit, von der Creutzfeld-Jakobschen Krankheit (CVJM) ereilt zu werden, lag in der BRD bislang bei… 0. Es ist noch kein eindeutiger Fall aufgetreten. Und wenn doch, dann vielleicht nur ein einziger oder zwei. (Nebenbei: Ich fand im Internet eine Namensliste all derer, die in GB an Creutzfeld-Jakob starben. Geil! So was zerstreut mich!) Auch so nebenbei: In Deutschland gibt es ca. 15-35 Gewittertage im Jahr, etwa eine Million Einschläge rieseln dabei auf unsere Häupter. Gerechterweise treffen den Süden Deutschlands fast dreimal mehr Blitze, als den Norden. Tödlich enden etwa 1/3 der Fälle, in denen Menschen vom Blitz getroffen werden. Im Jahr hört man von ca. 10 Fällen überhaupt, demnach müssten das also 2 1/3 Tote pro Jahr durch Blitzschlag sein. Hört man aber deshalb je vom Blitzskandal? Falsch ausgezeichneten Stromschlägen, notgeschlachteten Gewitterwolken, oder EU-subventioniertem Verbrennen von Donnerherden? Nie!
Eine kleine Überlebenshilfe fürs Gewitter fand ich trotzdem:

	Von den Eichen sollst du weichen
	Und die Fichten wähl mitnichten
	Auch die Weiden musst du meiden
	Aber die Buchen sollst du suchen!
	

Und jetzt der Hammer:
"Jeder zweite Jugendliche, der heute zur Zigarette greift, wird an den Folgen seiner Sucht sterben." (Smokin' Press Archive)
Potzblitz und Donnerkeil! Das ist doch mal eine Information mit Schmiss! Aber, interessiert das irgendwen? Nur die Neuheit und die Freude der Medien am Irrsinnigen bringt den Reiz, sich die Gemüter zu erhitzen.
Um nun meinerseits den einen oder anderen die Raufasertapete hochzujagen, behaupte ich jetzt mal, dass die Gefahr, von BSE vergiftet, oder vom Blitz getroffen zu werden ebenso gering ist, wie die, dass eine Band vom Kommerz getroffen wird. Völlig unerheblich nämlich. "Die eigentlichen Gefahren und Probleme dieser Welt sind dahingegen ebenso bekannt, wie ignoriert", sprach der weise Weißbart.
Überhaupt, 'kommerzgeil', was ist das eigentlich für ein Vorwurf? Wenn ich dies wäre, studierte ich doch BWL, wie bestimmt ein Viertel meiner Jahrgangsstufe, statt mich jahrelang mit Punkern mit ungepflegten Bärten herumzuschlagen und am Merchandisestand um zweistellige Beträge zu feilschen (und das noch nicht mal in EURO).
Ihr dürft schließlich auch nicht vergessen, dass wir aus gutem Hause stammen und unsere Erziehung auf gewissen feudalen Wertvorstellungen fußte, von denen wir uns jetzt nicht mal so eben zwischen zweitem und drittem Frühstück verabschieden können. Unser künstlerisches Schaffen würde doch grausig leiden wie eine BSE-Kuh, wenn wir an unserem Lebensstandard Abstriche zu machen gezwungen wären. ICH jedenfalls brauche meine Hobbies und werde keine meiner Seelenzufluchten schließen, in denen ich meine zarte Bassistenseele umsorge. Nur um Stromkosten zu sparen werde ich das Licht in meinem Schneeleopardenzwinger nachts nicht dimmen, oder meiner Straußenschar ihr probiotisches Trüffelkraftfutter verwehren, oder mich selbst von etwas anderem als von sizilianischen Singvögeln ernähren, nur damit so dreckiger Pöbel nemarkfuffzich weniger für die CD blechen muss.
Unseren Fans geht es sowieso schon gut genug! Denn:
Ein Schweizer Lehrer mit dem wohlklingenden Namen "Waldemar Weber" will festgestellt haben, dass Singen die Leistungsfähigkeit steigert: Eine Schulklasse, die drei Jahre lang wöchentlich drei Stunden weniger in den Hauptfächern, dafür aber mehr im Singen unterrichtet wurde, zeigte anschließend im Vergleich zu Parallelklassen bessere Leistungen auch in den Hauptfächern (Spiegel 52/2000).
Ein durchschnittlicher W$K-Fan ist tendenziell ununterbrochen besoffen und höchst euphorisiert, ferner verlangt unser Musikstil eine interaktive Teilhabe am Aufführungsgeschehen, sprich: solch ein Fan grölt sehr sehr viel! Wenn man sich jetzt ein Wortfeldbäumchen zum Oberbegriff ‚Singen' bastelte, stände ‚Grölen' zwar recht weit unterhalb der Wortfeldbäumchenastgabel ‚Brüllen', etwa auf gleicher Ebene mit ‚Quietschen' und ‚Johlen', trotzdem ließe sich damit zweifelsfrei belegen: "Grölen macht klug". Ein W$K-Fan ist also eo ipso ein halber Bill Gates (um mal ein Vorbild zeitgenössischen Pfiffikusseins zu nennen).
Doch es kommt noch besser: Duchs Singen könne sogar Stimmbandschäden vorgebeugt werden! Vielleicht ja auch dem Lungenkrebs? Das könnte die missliche Situation entschärfen, dass unsere typischen Fans nicht nur saufen wie die Bundeswehr, sondern auch rauchen wie ein börsenschwerer Jungunternehmer des neuen Marktes. Ja vielleicht bleibt durch die wunderwirkende Kraft des Grölens sogar noch ein Quentchen positive Heilenergie übrig, um einen wildwestgemäßen Rindfleischkonsum zu entkriminalisieren. Oder wenigstens Konsumgeilness auf punkermoralischer Grundlage zu rechtfertigen.

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