RAKI (Dezember 2003)

Erklärung von Spaß (ohne Witz)

"Seitdem ihr auf Viva lauft, seid ihr genau so beschissene Popstars wie Britney Spears und Daniel Kübelböck!"

Diese Meinung stellt eine Analogie auf, die wohl vor allem darauf gründet, dass wir seit neuestem in den Medien erscheinen, wie auch die beiden Genannten. Wer diese Gleichsetzung zu Stande bringt, zeigt aber, dass er dem Umgang mit diesen Medien, die er da im gleichen Zuge wahrscheinlich mit kritisiert, überhaupt nicht gewachsen ist.

Spätestens seit den Castingshows entblößt sich das Fernsehen doch darin, dass es jeden noch so doofen und aufgeblasenen Torfstecher wie einen waschecht durchamerikanisierten Superstar aufbauschen lassen kann. Ein schicker Fummel, die makellose Perfektion der Bilder, deren die Technik heute fähig ist, sowie die erstaunliche Distanz, die das Medium zwischen dem Abgebildeten und dem Zuschauer erzeugt (selbst wenn der Zauber im öden Hürth-Kalscheuren produziert wird, und ich ihn 5 Kilometer weiter im idyllischen Köln anschaue) macht's möglich.

Wer diesem Trug aufsitzt und jeden Schein, den die Glotze liefert, für Wirklichkeit hält und folglich uns für Jünger Bohlens, ist doch der Welt nach dem Jahr 2000, in der das Fernsehen ohnehin immer größere Teile unseres Alltags und Lebens modelliert, hilflos ausgeliefert!

"TV makes the superstar", das war die letzte trübe Message, die uns Modern Talking mit auf den musikalischen Leidensweg gegeben haben, bevor sie sich dankbarer weise auflösten, und ich fürchte, dass da nicht mal eine Spur von Selbstironie mitgespielt hat. Nun, für Bohlens Sektenangehörige findet das Leben nur hinterm Bildschirm statt. Aber für uns, die wir jetzt ein paar Sendeminuten erhascht haben, auch?

‚Modern Talking' war übrigens der erste Musikwunsch, den ich Mitte der 80er meinen Eltern gegenüber äußerte, denn auch damals gab's schon Weihnachten. Zähneknirschend, denn wissend, dass dieses nicht mehr als das dreckige Abspülwasser der Musikkultur sein könne, schenkten sie mir eine Kaufkassette, begleitet mit den mahnenden Worten: "Du kannst dir ja alles anhören, nur bloß nicht die Ärzte!" Denn die hatten gerade an den Indizierungen ihrer ersten Alben zu knabbern.

Ab wann ist man denn eigentlich ein solcher Popstar? Von dem Zeitpunkt an, an dem man selber glaubt einer zu sein? Oder sobald andere glauben, dass man einer sei? Und wenn dem so ist, wie viele andere müssen das dann sein? Reichen 100? Oder 1000? "Oder bin ich schon so, wie die im Fernsehen?" Diese Frage habe ich mir, im Gegensatz zu den Sportfreunden Stiller, noch nicht stellen müssen. Als die Nachricht kam, dass Viva unser Video spielen würde, haben wir uns, wie uns alle Misanthropen sicher schon unterstellt haben, tatsächlich gefreut. Als wir das Video dann aber zum ersten Mal über den Bildschirm haben laufen sehen, war das eher ernüchternd und unspektakulär. Denn für uns selbst gab es ja keinen Schein, von dem wir uns hätten gefangen nehmen lassen können.

Wer sich aber Viva freiwillig und auch noch willens, das Gezeigte zu kritisieren, anschaut, sollte doch dringend zwischen (künstlichem / kunstvollen) Bild und Ab-Bild unterscheiden. Dass das nicht jedem Teenager gelingt, für den ‚Medienkompetenz', also das Wissen um die Handhabe, Funktionen und Wirkung von Informationsträgern, noch ein wünschenswertes Lernziel darstellt, ist mir schon klar. Aber gerade für den ist doch interessant, was sich hinter dem vermeintlich gleichen Schein von Hüpfdolen wir Britney oder einer Band wie uns verbirgt:

Wer durch Viva auf uns aufmerksam wird, dem öffnet sich das Phänomen ‚selbst aufgebaute Rockband' und damit die ganze Welt der aktiven Rockmusikszene. Wer mal auf eines unserer Konzerte gegangen kriegt doch leicht den Draht zu all den ebenfalls selbst organisierten Bands, mit denen wir unterwegs sind, und zur schönen dreckigen, lauten und verrauchten Konzertkultur. Wir verdanken unsere Herkunft und unseren Erfolg nicht nur dem anhaltenden Funktionieren dieser Szene, wir sind nach wie vor zu 100% ein Teil davon, hängen auf allen möglichen Konzerten und mit Bands aus der ganzen Welt ab und mischen an allem ordentlich mit. Wenn wir irgendeinem Teenager als Einstieg in diese Szene dienen, in der alles davon abhängt, dass ihre Anhänger selber den Arsch hoch kriegen und ihr eigenes Ding auf die Beine stellen, Konzerte organisieren oder Fanzines rausgeben, dann ist das ganz in unserem Sinne. Wer dagegen bei Daniel Lopes hängen bleibt, dem eröffnet sich gar nichts weiter, außer der Perspektive, ewig Rezipient zu bleiben. Denn die Welt der Superstars kann nur und ausschließlich im Fernsehen überleben, mit konsumierendem Publikum, das keinen Einfluss auf und keinen tieferen Einblick in das Gesehene gewinnen darf.

Mit nur ein klein wenig Humor durchblickt doch dann der gewiefte Leser auch den Gehalt eines Bravo-Artikels über die The Wohlstandskinder sofort: Wir jedenfalls haben uns in Fäustchen gelacht, schnell unsere Mamas angerufen, die dann ebenfalls vor Freude die Hände über den Kopf schlugen und prompt von der guten alten Zeit erzählten, als sie selbst noch Backfisch und beminirockt waren und die Bravo schon genau so doof. Schon hat man die schönste Generationen übergreifende Konversation und wird zum Essen eingeladen. Mehr Bedeutung messe ich dem nicht zu.

Für die separatistischen Anflüge der ‚alten Fans', die keine Jüngeren auf den Konzerten sehen wollen, habe ich auch kein Verständnis. Wenn ich nicht mit 14 angefangen hätte, zu den Toten Hosen zu gehen, gäbe es heute auch keine Wohlstandskinder. Und sollten uns an derer statt andere Fans abwandern: Was soll's? Wer hat sich denn eigentlich ausgedacht, dass ‚Fan-Sein' ein Zustand sei, der ewig andauere? Mit 16 war ich noch bedingungslos höriger Hosenfan. Bis ich dann deren ‚neuen' Platten immer langweiliger fand. Wenn ich mir die Hosen heute anhöre, dann spricht aus deren Musik überhaupt nicht mehr mein aktuelles Lebensgefühl oder gar mein musikalischer Geschmack. Auch nicht aus deren ‚alten' Platten, die ich früher mal so geil fand. Die sind mir genau so egal, wie die neueren.

Wer sich darüber hinaus eigentlich nur über unseren musikalischen Werdegang aufregen will, und das an dem Viva-Auftritt festnagelt, sollte mal über seine Maßstäbe nachdenken, an denen er uns misst. Für wen ‚Slime' das Maß aller Dinge ist, für den können wir ja nur aus dem Raster fallen.

Ausgesprochen bedenklich finde ich, dass sich die Idee der Toleranz, etwa gegenüber anderem oder sich wandelndem Musikgeschmack, offenbar immer weniger mit Jugendkultur vereinen lässt. Um so tiefer man in einer Szene drin steckt, um so klarer muss man sich doch deren Abhängigkeit von Ort und Zeit, ihr Gewordensein und ihre Kurzlebigkeit bewusst machen, ebenso wie ihre Bedeutung als eine Szene unter vielen. Das macht sie ja nicht schlechter oder weniger glaubwürdig. Postmodern, wie wir nun mal leben, müsste ein Gegensatzpaar wie ‚richtig' und ‚falsch' doch völlig out sein. Wie sollen sich denn ein weltweites Zusammenwachsen der Völker und Kulturen mit seperatistischer Engstirnigkeit von Minigrüppchen jugendlicher Besserwisser vereinen? Soll das etwa ‚Sozialkritik' sein? ‚Gegen das System'? Natürlich ist es wichtig, sich gegen Idioten, Nazis, farblose Kulturmüllschlucker wir Dancefloor-Anhänger und gegen alles mögliche andere, was man bedenkenswert finden darf, abzugrenzen. Aber dabei darf man nie vergessen, wie rein zufällig die eigene Lebensweise ist. Sonst verwundert es doch kaum, wenn später in erwachsenen Köpfen ein Begriff wie ‚Leitkultur' herumgeistert, der man sich unterzuordnen habe, wenn man unglücklicherweise nicht in sie hinein geboren wurde, wenn nicht einmal der noch relativ zwangfreie Geist der Jugend über den Tellerrand schaut. Unser Alltag ist von einem Nebeneinander von unterschiedlichsten Minderheiten geprägt, längst gehört es zum Mainstream, nicht Mainstream zu sein. ("Mainstream der Minderheiten" heißt ein Buch von Dietrich Diederichsen, dass diese kulturkritische Beobachtung trifft, und das seit Jahren in meinen Bücherschrank darauf wartet, von mir gelesen zu werden.) Wie groß ist denn dann das Verständnis etwa für eine türkische Jugendkultur, die genau die gleiche Berechtigung trägt, wir irgendeine deutsche oder amerikanische, wenn zwischen ‚Punk' und ‚Rock' schon Welten liegen?

Und was den leidigen Begriff ‚Kommerz' anbelangt - den habe ich auf Grund seiner mangelnden Aussagequalität und Inhaltsklarheit aus meinen aktiven Sprachschatz getilgt, ähnlich wie ‚Spießer' (denn das sind bornierte, selbstbezogene Punker auch). Wer von euch macht sich denn noch selber seine Marmelade aus selbst gesammelten Holunderbeeren ein? Wo fängt was an und wo hört was auf? Wer ‚Kommerz' einfach nur ‚doof' findet, der versteht doch die westliche Welt nicht mehr. Der kann auch gleich ‚die Menschen' doof finden, oder eben ‚die Medien'.

Ich halte unser Video für gelungen, weil kurzweilig und unterhaltsam, und mir ist es deshalb völlig recht, dass das überall und so oft wie möglich ausgestrahlt wird. Wer glaubt, über das Fernsehen lasse sich über irgendeinen Inhalt ein gescheiter Meinungs- oder Informationsaustausch organisieren, hat die Maschinerie der Maschine nicht durchblickt. Der wahnsinnig schnelle Wechsel von Inhalten, die geldschwere Hast der Sendeminuten, die Zerstückelung von Zusammenhängen, die einseitige Perspektive, die Unmöglichkeit des Nach-Fragens, all das eignet sich doch überhaupt nicht für die Struktur von tieferem Inhalt. Dafür aber bestens für kurzlebige Unterhaltung. Ich jedenfalls nehme insbesondere ein Format wie Viva nicht als Diskursmittel ernst, dafür scheint mir diese Kolumne erheblich geeigneter. Daher stoße ich mich auch nicht daran, wenn darin in verfremdender oder einfach nur saublöder Manier über uns berichtet wird / irgendwelche neunmalklugen ModeratorInnen platte Phrasen der Redaktion dazu ablesen, oder uns dereinst sogar quitschig interviewen. Für mich ist das nur ulkig. Rock n Roll findet auf der Bühne statt. Und Inhalt in Texten und Büchern.

PS.: Ich bin mit meiner harschen Besserwisserei noch nicht am Ende (die ich mir erlaube, weil ich in einem fort völlig hanebüchene Vorhaltungen über mich ergehen lassen muss). Richtig ulkig wird's nämlich, wenn ‚Kritiker' als Indiz unseres Oportunismus / Sich-selber-untreu-Werdens Texte von Stücken wie ‚Scheiß Kommerz' heranziehen. Nun, da die Single ausverkauft ist (und wir sie auch nicht mehr nachpressen lassen, damit es wieder mal etwas gibt, was es nicht mehr gibt), kann ich ja getrost einen Werkstattbericht von der ‚Kindakacke'-Single liefern. Nachdem wir uns jahrelang immer wieder mit bodenlos grausamen Stumpfpunkbands haben herumquälen müssen, dachten wir uns 2001, als finale Antwort darauf selber eine Stumpfpunkplatte aufnehmen zu können. Denn das, was diese Bands so mies machte, das können wir noch schlechter! Also haben wir uns drei der plattesten und populärsten Parolen als Songtitel ausgesucht, und einen vierten, als Stereotyp der Sinnlosigkeit, dazu erfunden: ‚Scheiß Scheiß'. Unheimlich gut war auch Caddys Idee, die Phrase ‚Unpolitisch macht hirntot' umzudrehen und den Nonsense ‚Untot macht hirnpolitisch' als Singlenamen zu wählen, denn der Slogan lässt sich genau so gut skandieren, wie das Original. Innerhalb einer 90 minütigen Probe haben wir uns darauf irgenwelche billigen Akkordwechsel und die behämmertsten, Klischee gerechtesten Texte, die wir hinbekommen haben, dazu ausgedacht: "Du bist nur ne Marionette, brauchst Papier auf der Toilette, trotzdem siehst du scheiße aus, darum sag ich: Spießer raus!" Sinnloser geht's nicht mehr. Anschließend haben wir einen Kasten Bier gekauft, den so schnell wie möglich ausgetrunken, um ein ausreichend authentisches Maß an Spielfehlern zu garantieren und dann auf einer kleinen 2x4-Spuranlage aufgenommen und ein paar Refrains zusammen gegrölt. Dann bin ich in der Küche eingeschlafen. Veröffentlicht wurde die Single nur auf Vinyl und mit schwarz/weiß Cover, weil das ja am punkigsten ist. Ebenso, wie ‚Kindakacke' gute Freunde der Wohlstandskinder sind, hatte unser Label Vitaminepillen Records Kumpels namens ‚Pillemann Records', die die Single dann rausgebracht haben. Der Preis wurde so kalkuliert, dass wir auf keinen Fall Gewinn damit machen konnten, und einen großen Teil der Auflage haben wir verschenkt. Also: Wer diese idiotensicheren Chiffren der Ironie nicht entziffern kann und uns vorwirft, wir würden unsere Ideale, die wir im Song 'Scheiß Kommerz' offenbart hätten, verraten, dessen Kritik erlaube ich mir genau so ernst zu nehmen, wie Bravo-Artikel und Viva-Spots.

PPS: Es gibt übrigens noch eine Band, die sich aus gleichem Anlass gegründet hat: Die ‚Bullenhasser', alias Lost Lyrics.

PPPS: Diese Kolumne ist kein gemeinsames Statement der Band, sonder gibt nur meine persönliche Meinung wieder. Jeder von uns hat seine ganz eigenen Ideen zu unserem 'Medieneinstieg'. Für mich ist der Text die Lösung des Problems, dass wir in Interviews nur selten genau die Fragen gestellt bekommen, für die ich gerade Antworten los werden möchte, und natürlich kann ich auch nie so ausführlich darauf reagieren, wie hier, aber viele Fans den berechtigten Anspruch stellen, unseren Standpunkt zur optisch neuen Erscheinungsform der Band zu erfahren.

Wer sich dafür interessiert, warum man den Medien wirklich skeptisch gegenüber stehen sollte (nicht, weil darin vormals vermeintlich von der Gewinnorientierung mariengleich unbeschmutzte Punkbands in den Sumpf der Geldgier gezogen würden), kann mal in diese Bücher hineinschnuppern:

Neil Postman - Wir amüsieren uns zu Tode - Ein Klassiker der Medienkritik, mittlerweile überholt, hat die Diskussion aber maßgeblich beeinflusst und ist leicht zu lesen.

Hartmut von Hentig - Der technischen Zivilsation gewachsen bleiben - Erheblich komplizierter, aber auch viel aktueller. Zwar sind diese Bücher immens pädagogisch, also total vernünftig (und damit nix für den Caddy), aber sie helfen ungemein, die Welt besser zu verstehen und damit Kritik einen festeren Untergrund zu liefern.

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